Transformation in Organisationen: Werden wir zu Imagozellen!
Aktualisiert: 15. März 2022
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie aus einer Raupe ein Schmetterling wird? Ein faszinierender Prozess! Dabei findet eine komplette Verwandlung dieses Wesens statt – und deswegen nutze ich das Bild der Metamorphose schon seit Jahren, um Transformationen im Unternehmenskontext zu erklären. Doch erst vor Kurzem entdeckte ich, dass dieser Prozess noch viel mehr mit Veränderungen in Organisationen vergleichbar ist, als ich ursprünglich dachte!

Notwendiger Wandel: Von der Raupe zum Schmetterling
Es ist so weit: Die Raupe verpuppt sich – und die fantastische Verwandlung beginnt. Spezielle Enzyme lösen die bisherige Zellstruktur der Raupe auf, erstaunlicherweise aber nicht alle, sondern nur die nicht mehr benötigten Zellen. Gleichzeitig bilden sich neue Zellen, die von Experten »Imagozellen« genannt werden. Das Immunsystem der Raupe greift sie sogar an, weil sie so andersartig sind als die bisherigen. Sie werden als Fremdkörper eingestuft, und viele von ihnen werden zerstört. Es herrscht sozusagen große Verwirrung auf Zellstrukturebene.
Doch die Imagozellen bleiben hartnäckig, entstehen immer wieder von Neuem. Sie lernen dazu und kommunizieren miteinander. Sie connecten sich! Sie bilden mit der Zeit Cluster und intensivieren den Informationsaustausch. So sind sie stärker und können sich vermehren. Irgendwann kann das Immunsystem sie nicht mehr schnell genug eliminieren. Die Imagozellen setzen sich also letzten Endes durch – was gut ist, denn ohne sie könnte niemals ein neues Wesen entstehen, welches das Überleben des Insekts sichert! Das Interessanteste daran ist: Der genetische Code bleibt gleich, aber das Aussehen ist ein vollkommen anderes und dient einem ganz anderen Zweck. Mithilfe seiner Flügel kann sich der Schmetterling viel besser und weiter fortbewegen und so neuen Lebensraum finden. Er benutzt völlig andere Sinnesorgane, folgt ab sofort anderen Überlebensstrategien, um in seiner Umwelt zu bestehen.
Wie viele andere war ich fasziniert von dem Verwandlungsprozess an sich, doch das Wesentliche ist der Sinn und Zweck der Metamorphose: eine auf die Zukunft gerichtete, veränderte Lebensweise. Das bedeutet: Nicht weil die Raupe untergeht, entsteht ein Schmetterling, sondern weil beide Daseinsformen unterschiedliche Aufgaben im Leben des Insekts übernehmen. Die Raupe kann nun mal nicht für alle Zeiten im Raupenstadium verharren, sonst findet keine Weiterentwicklung statt. Es geht auch nicht darum zu bewerten, ob ein Schmetterling besser oder schlechter ist als eine Raupe. Sondern darum zu verstehen, dass an die Stelle der Raupe ein vollkommen anderes Wesen treten muss, weil es in der alten Form nicht überlebensfähig ist. Und das gilt bei der Transformation von Organisationen ebenso!
Kosmetische Transformationsmaßnahmen: Nicht mehr als angeklebte Flügel
Vielen Unternehmen dämmert es mittlerweile, dass sich in der heutigen VUCA-Welt etwas ändern muss. Doch ihr vermeintlich energisches Vorantreiben des Wandels entpuppt sich bei näherem Hinsehen oftmals als eher unbeholfen und oberflächlich. Sie konzentrieren sich auf die reine Mechanik der Transformation im Sinne des Ursache-Wirkungs-Prinzips – sie denken also nach wie vor sehr maschinenhaft. Sie versuchen durch die radikale Überstülpung von hippen Change-Management-Methoden ihre Organisation zu verändern.
Was sie dabei oftmals übersehen, ist die tiefere Bedeutung der Transformation. Um im Bild der Metamorphose zu bleiben: Sie kleben der Raupe lediglich schillernd-bunte Schmetterlingsflügel an und glauben, damit ihren Beitrag zu einer gelungenen Transformation geleistet zu haben. Eine sichtbare Veränderung hat ja dadurch stattgefunden. Nun wird sich schon automatisch alles zum Besseren wenden. Doch diese Flügelattrappen sind kein neu entstandenes Körperteil des Organismus, sie sind dysfunktional. Die Raupe kann mit solchen angebauten Features nichts anfangen, weil sie sich innerlich nicht verändert hat – und sie wird dadurch auch nicht zu einem Schmetterling! Sie ist und bleibt eine Raupe. Die Flügel erfüllen nur einen Selbstzweck: schön aussehen.
Transformation in Organisationen: Wahrer Wandel beginnt im Verborgenen
Ähnliches passiert, wenn Transformation in Organisationen mit Change verwechselt wird: Es ist rein kosmetisch. Was wir stattdessen benötigen, ist ein grundlegendes Verständnis, wie der Prozess der kulturellen Transformationen tatsächlich abläuft, und vieles davon passiert unmerklich, im Verborgenen, im Inneren der Beteiligten.
Wie wir alle aus Erfahrung wissen: Wer tiefgreifende Veränderungen anstoßen möchte, stößt dabei oftmals auf Widerstand. So wie sich die Imagozellen des Schmetterlings gegen das eigene Immunsystem durchsetzen müssen, stellen sich Innovatoren in Organisationen jahrzehntealten Traditionen, liebgewonnenen Abläufen, eingeübten Gewohnheiten und Routinen in den Weg. Veränderungen werden von den »Betroffenen« skeptisch beäugt, im Stillen boykottiert oder sogar aggressiv bekämpft. Doch von diesem anfänglichen Widerstand, der ganz natürlich ist, dürfen wir uns nicht entmutigen lassen! Wir müssen zu resilienten Imagozellen unserer Organisation werden und geduldig bleiben. Gesellschaftliche, unternehmerische und kulturelle Transformationen können gelingen, aber das braucht seine Zeit.
Veränderte Haltung: Das neue Unbekannte zulassen
Doch damit das geschehen kann, ist noch mehr nötig: So wie die Raupe müssen Organisatonen für eine gelungene Transformation Althergebrachtes infrage stellen und Altlasten abstoßen, die nicht mehr benötigt werden. Es ist wichtig, dass der Fokus sich von den Methoden und Prozessen des altbekannten Change-Managements entfernt und stattdessen neue Mindsets, gemeinsame Werte und Grundüberzeugungen sowie die Verbesserung der Unternehmenskultur stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit und der offenen Diskussion rücken. Erst unter diesen Voraussetzungen können die Rahmenbedingungen entstehen, damit die Imagozellen im Unternehmen wachsen und gedeihen können.
Transformation bedeutet in meinen Augen, Veränderung anders zu denken und anzugehen als bisher. Und dazu gehört, dass Organisationen am Ende loslassen können. Loslassen im Sinne von Vertrauen in die Eigendynamik, die entsteht, wenn Führungskräfte den Beteiligten Orientierung und Purpose geben, Leitplanken definieren und an die Fähigkeiten, aber insbesondere auch an die Leidenschaft ihrer Mitarbeiter glauben. Diese Zuversicht wird belohnt werden.
Wahre Transformation beginnt in einer Organisation, sobald Individuen mit neuen Ideen, mit einem neuen Purpose, mit einer neuen Vision für die Zukunft den nötigen Freiraum bekommen. Ebenso wichtig ist, dass die unterschiedlichen Imagozellen einer Organisation sich untereinander connecten, sich zu Gruppen zusammenfinden und austauschen, sodass sie gemeinsam im Sinne der Transformation agieren können.
Also, gehen wir mit gutem Beispiel voran und leben den Wandel vor. So kann er nach und nach für immer mehr »Zellen« unserer Organisationen zum neuen Purpose werden, weil sie erkennen, dass dies der Weg zur Zukunftsfähigkeit ist.
Werden wir zu innovativen, kreativen Imagozellen!