Isst Kultur die Strategie wirklich zum Frühstück?
Aktualisiert: 14. März 2022
»Culture eats strategy for breakfast«

gehört zu den am häufigsten verwendeten Zitaten der letzten Monate, wenn man Artikel zu den Themen Culture Transformation und Change-Management liest. Über den Ursprung streiten sich die Experten, wobei die meisten Berichte die Worte Peter Drucker in den Mund legen – aber sicher belegbar ist das nicht. Nicht selten wird dieses Zitat so interpretiert, als sei die Kultur eines Unternehmens wichtiger als dessen Strategie oder als verhielten sich die beiden Themen, wie „Katz und Maus“. Wer jedoch genauer hinsieht, erkennt schnell: Kultur und Strategie bedingen sich gegenseitig und diese Synergie ist auch dringend notwendig. Denn nur wenn beide optimal ineinandergreifen, kann ein Unternehmen dauerhaft zukunftsfähig bleiben.
Kulturentwicklung findet schließlich nicht statt, um bei allen Beteiligten Glückshormone zu produzieren, sondern um das Business zu ermöglichen. Die Betrachtung der Unternehmenskultur ist daher nie Selbstzweck, sondern erfolgt immer aus einem praktischen Bedürfnis heraus: Es geht darum, die Fähigkeit der Organisation zur Bewältigung realer Herausforderungen zu verbessern. Die Frage, die wir uns stellen sollen, lautet: »Hilft die bestehende Kultur der Organisation, ihren Zweck zu erfüllen?«
Jede Organisationsform ist entstanden, um einen bestimmten Zweck und bestimmte Bedürfnisse zu erfüllen. Die regelmäßige Entwicklung der Unternehmensstrategie trägt dazu bei, dass dies dauerhaft geschehen kann. Ja, manchmal muss man den Zweck eines Unternehmens auch neu erfinden, keine Frage. Aber: Eine Strategie kann noch so genial ausgearbeitet sein – wenn ihr die vorherrschende Kultur im Unternehmen entgegensteht, wird sie sich nicht in der Form umsetzen lassen. Umgekehrt hilft die tollste Kultur der Organisation nicht, wenn unklar ist, wohin die Reise überhaupt gehen soll.
Unter »Strategie« verstehen wir ein dynamisch skizziertes Zukunftsbild des Unternehmens in den Köpfen aller Führungskräfte und Mitarbeiter. Diese Vision versuchen wir im Alltag zu realisieren. Doch dafür sind Strukturen und Abläufe nötig, mit deren Hilfe die Aktivitäten der Mitarbeiter auf das verfolgte Unternehmensziel hin ausgerichtet werden können. Es geht also um Arbeitsteilung und Koordination auf ein gemeinsames Ziel hin. Das „WIE“ dieses koordinativen Prozesses beschreibt die Organisationskultur. Demnach ist eine wesentliche Funktion von Kultur, die Strategie zu unterstützen und deren Umsetzung zu gewährleisten.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die berechtigte Frage, warum Kulturentwicklung lange Zeit in Managementkreisen ignoriert beziehungsweise als unwichtig abgetan wurde. Einwände gegen Kulturentwicklung als Managementaufgabe gibt es zuhauf: Zunächst ist Kultur ein eher weiches Thema, daher passt es nicht in das vielerorts noch vorherrschende deterministische Maschinendenken einiger Manager. Darüber hinaus lässt sich Kultur nur begrenzt mit dem klassischen instrumentellen Handlungsmodell von Intervention und Messung von KPI´s sichtbar machen. Das heißt, die gelernten Stellhebel aus einem konkreten Business Kontext kommen an ihre Grenzen – sie müssen also neu gedacht und konzipiert werden – und selbst wenn sie gezielt veränderbar wären, wäre dies ein mühsamer und langwieriger Prozess. Eine Kulturveränderung braucht also nicht nur ein Zielbild, sondern erfordert ein konkretes und zielgerichtetes Programm, das konsequent mit der exakt gleichen Dringlichkeit durch die Organisation getragen wird, wie klassische Performancethemen im Management. Ein Kulturwandel geschieht also nicht über Nacht.
Aus diesen und vielen anderen Gründen fristete das Thema Kulturentwicklung lange ein Dornröschendasein. Doch nun erleben wir eine Zeit der Transformation – und plötzlich wird überall über Kultur gesprochen! Sie ist in aller Munde und viele ambitionierte Führungskräfte wollen jetzt ihre Unternehmenskultur ändern. Sie wünschen sich eine schnellere Reaktionsgeschwindigkeit bei unerwarteten Marktherausforderungen, mehr Bereitschaft zu Eigenverantwortung, höhere Konfliktfähigkeit und ein verbessertes Leistungsbewusstsein. Geklagt wird über überbordende Bürokratie, Absicherungswahn, mangelnde Fehlertoleranz, politische Rücksichtnahme bei Unstimmigkeiten und vieles mehr.
„WIE“ eine Unternehmenskultur jedoch zielgerichtet entwickelt werden kann, ist ihnen vielfach ein Rätsel. Fakt ist: Kultur entsteht natürlich automatisch – auch in Organisationen. Sicher, wir könnten diese Entwicklung weiterhin dem Zufall überlassen, aber dann müssen wir mit dem vorliebnehmen, was wir haben. Ist das wirklich klug?
Wir müssen Folgendes bedenken: Kultur ist nicht nur ein Faktor unter vielen, sondern vielmehr einer der wesentlichen Treiber. Die Unternehmenskultur beeinflusst, was die Mitglieder einer Organisation wahrnehmen, wie sie diese Wahrnehmungen interpretieren, welche Haltungen sie in der Folge entwickeln, wie sie fühlen, denken und konsequenterweise handeln. Die Kultur ist die Seele, der Geist und Stil des Hauses. Ist es daher nicht geradezu unverantwortlich, bei der Kulturentwicklung auf das Schicksal zu hoffen und die Hände in den Schoß zu legen? Ja, vor allem weil es durchaus möglich ist, die Unternehmenskultur gemeinschaftlich in eine Richtung zu entwickeln, welche die Organisation dabei unterstützt, mit den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen besser zurechtzukommen.
Kultur ist ein Kollektivphänomen, das bedeutet, es handelt sich dabei nicht nur um Verhaltensgewohnheiten, Erlerntes und Normatives eines Einzelnen, sondern um die Traditionen, Werte, Glaubenssätze und Gewohnheiten einer ganzen Gruppe von Menschen. Die Unternehmenskultur ist somit als Basis für die Zusammenarbeit aller Beteiligten zu sehen. Nun verhindert häufig das Kollektiv unbewusst durch das ständige Wiederholen des bereits Bekannten eine mögliche Veränderung, weil erlernte Verhaltensweisen im Laufe der Zeit zu Standards und nicht mehr hinterfragten Gewohnheiten werden. Warum auch nicht? Das Vorgehen der Mitglieder der Organisation hat offenbar das Überleben der Organisation als Ganzes bisher gewährleistet.
Aus ersten Spuren sind tiefe Wege entstanden, und so liegt der gewachsenen Kultur einer Organisation etwas zutiefst Konservatives zugrunde: Es gilt, die überlebenssichernden Verhaltensweisen der Vergangenheit zu wiederholen und diese als Normen gegenüber Störungen und Störern zu verteidigen und auch zukünftig durchzusetzen. Ist jedoch die Umwelt nicht mehr so stabil, muss man häufig neue Wege suchen. Daher müssen wir uns eingehend mit unseren eigenen Verhaltensweisen, Gewohnheiten, Methoden und mentalen Modellen auseinandersetzen, also mit dem „WIE“ unserer derzeitigen Unternehmenskultur. Wir müssen sie kritisch hinterfragen, indem wir es uns erlauben, neue Perspektiven einzunehmen, und den Mut haben, bei Bedarf völlig neue Pfade zu beschreiten.
Ohne Kulturentwicklung gibt es in der Zeit der Transformation keine Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen, Produkten, Dienstleistungen und Marken, und in der Folge bleiben wichtige Innovationen aus. Denn wie wir gesehen haben, isst die Kultur die Strategie zwar nicht zum Frühstück – sie ist aber unabdingbar für die Zukunftsfähigkeit von Organisationen. Das Thema Kulturentwicklung wechselt also zu Recht von einem Nebengleis auf die Hauptstrecke des Managements!